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Gabi Dobusch

Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

Istanbul Konvention vollständig umsetzen und Strategie zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt fortschreiben

Im Jahr 2011 wurde die Istanbul Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, von 46 europäischen Ländern unterzeichnet. Mittlerweile haben 34 Länder diese Konvention ratifiziert, darunter Deutschland im Jahr 2017 - nach intensiven Debatten und einer notwendigen Änderung ("Nein heißt Nein") im Strafgesetzbuch. Damit gilt die Istanbul-Konvention seit dem 1. Februar 2018 im Range eines Bundesgesetzes, welches Landesrecht vorgeht, und zugleich weiterhin als Internationales Recht, welches eine völkerrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts erfordern kann.

Der Senat hat Anfang des Jahres 2020 einen umfassenden Bericht zur Umsetzung des Konzeptes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 21/19677) vorgelegt und verschiedene Ersuchen zum verbesserten Opferschutz beantwortet. Auf Grundlage dessen soll der dort gewählte Ansatz zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt fortgeschrieben und ggf. noch bestehende Lücken bei der Umsetzung der Istanbul Konvention identifiziert werden. Die Koalitionspartner haben sich darauf geeinigt, dass die Fortschreibung unter breiter Beteiligung der Fachöffentlichkeit erfolgen soll und auch Themen wie die zunehmende Gewalt im digitalen Raum und die verbesserte Koordination der Maßnahmen gegen und der Verfolgung von geschlechtsspezifischer Gewalt stärker konzeptionell aufgegriffen werden sollen.

Deutschland setzt die Istanbul Konvention bisher nicht vollumfänglich um. Um zugewanderte Frauen besser vor Gewalt zu schützen ist es notwendig, dass die Bundesrepublik ihren Nichtanwendungsvorbehalt zu Artikel 59 Absatz 2 und 3 der Konvention zurücknimmt. Damit entzieht sich Deutschland der Vorschrift, geflüchteten oder migrierten Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder als Zeuginnen in Strafverfahren aussagen, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu ermöglichen. Artikel 59 Absatz 2 verpflichtet zur Aussetzung von Ausweisungs- bzw. Abschiebeverfahren, um gewaltbetroffenen Frauen mit abgeleiteten Aufenthaltstitel die Möglichkeit zu geben, einen eigenständigen Aufenthaltstitel zu beantragen. Nach Absatz 3 sollen gewaltbetroffene Frauen einen verlängerbaren Aufenthaltstitel bekommen, wenn das aufgrund ihrer persönlichen Lage oder zur Mitwirkung in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren erforderlich ist. Im Jahr 2022 ist eine Überprüfung dieses Vorbehalts vorgesehen, denn Artikel 79 Absatz 1 der Konvention sieht eine Gültigkeit der Vorbehalte von maximal fünf Jahren nach Inkrafttreten vor, diese können aber verlängert werden. Der Senat soll sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass dies nicht geschieht und die Vorbehalte wegfallen.

Die Bundesregierung sieht außerdem Artikel 59, Absatz 1 durch § 31 Aufenthaltsgesetz als erfüllt an. Dieser sieht allerdings eine dreijährige Mindestbestandszeit der Ehe vor, wovon abgewichen werden kann nach Absatz 2 bei Fällen besonderer Härte (z. B. häusliche Gewalt). Allerdings berichten betroffene Frauen sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Beratungsstellen und in den Frauenhäusern, dass Gewalt als Härtegrund häufig nicht anerkannt wird. Durch die dreijährige Ehebestandszeit bis zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltstitels sind gewaltbetroffene Frauen bis zum Ablauf dieser Frist massiver bis lebensbedrohender Gewalt ausgesetzt - oder sie verlieren ihr Aufenthaltsrecht. Deswegen setzt sich Hamburg bereits für eine geringere Ehebestandszeit ein (vgl. Bericht zur Umsetzung des Konzeptes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege Drs. 21/19677, S. 6 der Anlage, Punkt 1.10) - dies soll Hamburg auch weiterhin tun. Allerdings soll der Senat auch für eine verbesserte Umsetzung von §31 Absatz 2 sorgen, sodass betroffene Frauen durch die Ausländerabteilungen zu einem eigenständigen Aufenthalt beraten und Härtegründe besser anerkannt werden.

Die Istanbul Konvention ist ein wichtiger Meilenstein in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und damit für Geschlechtergerechtigkeit. Europaweit stehen Werte wie Geschlechtergerechtigkeit, Selbstbestimmung und Vielfalt der Geschlechter unter Druck. Die polnische und die türkische Regierung haben zuletzt angekündigt, das Übereinkommen zu verlassen. Geschlechtsspezifische Gewalt dient dazu, patriarchale Strukturen zu festigen. Wer sich für Gleichstellung, Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen einsetzt, setzt sich gegen Gewalt ein. Die Hamburgische Bürgerschaft zeigt sich daher solidarisch mit den zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren in allen europäischen Ländern, die sich für ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben von Frauen und LSBTI*-Personen einsetzen und fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass keine Länder die Istanbul Konvention verlassen.


Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. Die Strategie zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt fortzuschreiben und dabei die Istanbul-Konvention konsequent umzusetzen.
a) Die Fortschreibung soll unter breiter Beteiligung der Fachöffentlichkeit erfolgen und soll auch Themen wie Gewalt im digitalen Raum und die verbesserte Koordination stärker konzeptionell aufgreifen.
b) Ggf. noch bestehende Lücken bei der Umsetzung der Istanbul Konvention in Hamburg sollen in diesem Prozess identifiziert werden.
2. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass der Vorbehalt der Bundesregierung zu Artikel 59 Abs. 2 und 3 der Istanbul-Konvention zurückgenommen wird.
3. betroffene Personen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde (Migrationsbehörde) hinsichtlich eines eigenständigen Aufenthaltsrechtes u. a. auf Grundlage der Anerkennung von besonderen Härten (insbesondere Gewalt in all ihren Formen) zu beraten um den Härtegründen in § 31 bei Nicht-Erreichen der Mindestdauer der Ehebestandszeit in der Praxis mehr Geltung zu verschaffen und zu prüfen, inwiefern spezialisierte Zuständigkeiten zu Verbesserungen führen.
4. die Bundesregierung aufzufordern, sich dafür einzusetzen, dass alle Vertragsstaaten die Istanbul-Konvention ratifizieren und dass Staaten, die die Konvention bisher ratifiziert haben, diese auch tatsächlich umsetzen und die Konvention nicht verlassen.
5. der Bürgerschaft bis zum 31. Oktober 2021 über den Stand der Umsetzung sowie zu weiteren Ergebnissen im Laufe der Legislaturperiode zu berichten.

Antrag

Hamburgische Bürgerschaft
24.11.2020
Drucksache: 22/

Von den Abgeordneten:
Kazim Abaci, Ksenija Bekeris, Gabi Dobusch, Danial Ilkhanipour, Regina Jäck, Annkathrin Kammeyer, Jan Koltze, Iftikhar Malik, Kirsten Martens, Ali Simsek



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