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Gabi Dobusch

Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität

Die Fraktionen von SPD und Grünen haben im Koalitionsvertrag vereinbart, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität zu ergänzen. Damit soll das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität eines Menschen ausdrücklich grundgesetzlich abgesichert werden. In der vergangenen Wahlperiode hat sich die Hamburgische Bürgerschaft mit Erfolg für die Ehe für alle und die Rehabilitierung von nach § 175 Strafgesetzbuch Verurteilten eingesetzt. Sie haben damit dazu beigetragen, dass sich bundesweit die Lebenssituation von LSBT*IQ-Personen verbessert hat.
Beispielsweise die zugespitzten Entwicklungen in europäischen Staaten wie Polen zeigen, dass die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz für die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt noch längst keine Selbstverständlichkeit, sondern vielmehr prekär ist. Auch in Deutschland stößt die Lebensführung etwa von schwulen Männern und lesbischen Frauen noch immer auf Vorbehalte, was sich in rechtlicher und sozialer Diskriminierung niederschlägt. Diese kann viele Ausprägungen haben und reicht von sozialem Boykott bis zur Verächtlichmachung, von rechtlicher Benachteiligung bis zu offener Gewalt. Diese Realität erfordert grundsätzliche rechtliche Gegenmaßnahmen. Eine Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität ist vor diesem Hintergrund also ein weiterer notwendiger Baustein für eine tolerante Gesellschaft, in der alle Menschen frei und selbstbestimmt leben können.
Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ist insbesondere eine Reaktion auf die nationalsozialistische Diktatur. Die in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes aufgenommenen Merkmale tragen alle insbesondere den von Nationalsozialisten verfolgten Minderheiten Rechnung.
Die Merkmale der Behinderung und der sexuellen Identität fanden keinen Eingang in die Ursprungsfassung des Grundgesetzes, obwohl behinderte und homosexuelle Menschen schwerer Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt waren. Unter den Nationalsozialisten waren lesbische Frauen zwar, anders als schwule Männer, nicht strafrechtlicher Repression ausgesetzt, aber auch sie wurden denunziert und verfolgt und ebenso in Konzentrationslagern ermordet wie schwule Männer.
Das Merkmal der Behinderung konnte im Jahr 1994 im Zuge der Überarbeitung des Grundgesetzes nach der Wiedervereinigung ergänzt werden. Die Aufnahme des Merkmals der sexuellen Identität scheiterte an der notwendigen Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag, obwohl sich bereits im Jahr 1994 eine Mehrheit der Gemeinsamen Verfassungskommission von Deutschem Bundestag und Bundesrat dafür ausgesprochen hatte, es in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG ausdrücklich zu nennen (Bundestagsdrucksache 12/6000, S. 54).
Bereits im Jahr 2009 setzte sich die Hamburgische Bürgerschaft mit einem interfraktionellen Antrag für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ein (Drs. 19/3546), die aber letztlich nicht zustande kam (Drs. 19/4938). Im selben Jahr legte die Grüne Bundestagsfraktion einen Gesetzesentwurf vor, dem zufolge das Merkmal der sexuellen Identität in Artikel 3 der Verfassung ergänzt werden sollte (Bundestagsdrucksache 17/88). Auch die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag unternahm im Jahr 2011 einen Vorstoß, eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes zu bewirken. Ende 2019 nahm im Deutschen Bundestag die Debatte um diese Änderung wieder Fahrt auf. So befasste sich der Rechtsausschuss im Deutschen Bundestag auf der Grundlage eines Antrags der demokratischen Oppositionsparteien (Bundestagsdrucksache 19/13123) am 12. Februar 2020 im Rahmen einer Expert*innenanhörung mit diesem Vorhaben. Alle geladenen Expert*innen kamen dabei zu dem Ergebnis, dass die vorgeschlagene Änderung des Grundgesetzes zu begrüßen ist (Protokoll-Nr. 19/82 der Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz). Eine Entscheidung des Deutschen Bundestags steht noch aus.
Beispielsweise allein die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Identität im Rahmen von Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes bietet keinen vergleichbaren Schutz für die betroffenen Personen. Zudem stellt das Merkmal der sexuellen Identität einen klassischen Diskriminierungsgrund dar, der den anderen Merkmalen des Artikels 3 Abs. 3 des Grundgesetzes in nichts nachsteht. Mit der Gesetzesänderung wird demnach eine Schutzlücke im Grundgesetz geschlossen, die zudem der Disposition durch den einfachen Gesetzgeber entzogen ist.
Auch der Bundesrat befasste sich im Jahr 2018 mit einem Antrag (Bundesratsdrucksache 225/18), der darauf gerichtet war, Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes in einer vergleichbaren Weise zu ändern. Dieser Antrag erreichte aber letztlich wegen unterschiedlicher Ausschussvoten (Bundesratsdrucksache 225/18/1) nicht den Deutschen Bundestag.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im Deutschen Bundestag bietet es sich also an, das Anliegen der Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3 Satz 1 um das Merkmal der sexuellen Identität mit einer neuerlichen Initiative im Bundesrat und auch auf andere geeignete Weise auf Bundesebene weiter voranzubringen.

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird ersucht,
sich im Bundesrat und ergänzend in geeigneter Weise auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzt wird.

Antrag

Hamburgische Bürgerschaft
05.08.2020
Drucksache: 22/

Von den Abgeordneten:
Gabi Dobusch, Danial Ilkhanipour, Regina Jäck, Annkathrin Kammeyer, Simon Kuchinke, Iftikhar Malik, Baris Önes, Milan Pein, Arne Platzbecker, Britta Schlage, Olaf Steinbiß, Urs Tabbert, Sarah Timmann, Carola Veit, Ekkehard Wysocki



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